Der Mythos „BASEBALL“

Es gibt einen Begriff, mit dem Amerika untrennbar verbunden ist. Die Amerikaner selbst nennen es liebevoll und ehrfürchtig zugleich „the national pastime“, den „Zeitvertreib der Nation“. Dabei ist es eigentlich nur ein Spiel – nur ein Spiel? – Bei weitem nicht! Es ist Geschichte, es ist Tradition, es ist Kultur, es ist Amerika, es ist… BASEBALL!

Doch was ist das Besondere an diesem Spiel, das (ignorante) Europäer als „langweilig“ bezeichnen, das aber jeden Sommer aufs Neue die ganze Nation in seinen Bann zieht und Millionen von Fans täglich in die Stadien lockt? Woran liegt es, dass für Hemingway´s „alten Mann“ Santiago die „New York Yankees“ die Stärke und Kultur Amerikas verkörpern und warum sind die Stars dieser Sportart, wie Joe Di Maggio oder Babe Ruth, zu nationalen Helden – weit über den sportlichen Bereich hinaus – geworden, so dass japanische Soldaten im 2. Weltkrieg riefen: „Zur Hölle mit Babe Ruth!“? Was ist das Faszinierende an diesem Sport, dem John F. Kennedy mit seiner Familie und einigen Senatoren regelmäßig auf seinem Anwesen nachging und mit dem sich Millionen amerikanischer Kinder vergnügen, sowohl auf Farmfeldern in Oakland, wie auch im New Yorker Central Park?

Es ist sehr schwierig, den Mythos Baseball und die Beziehung, die die Amerikaner zu diesem Spiel haben, zu erklären und für einen Europäer fast unmöglich, diesen zu verstehen. Baseball ist untrennbar mit dem amerikanischen „Way of Life“ verbunden und kein Amerikaner steht diesem Spiel gleichgültig gegenüber. Der Autor Donald Hall beschreibt es folgendermaßen: „Baseball ist Amerikas einzige unendliche Liebe, das endlose Spiel sich wiederholender Sommer, in dem sich die Geschichte aller Väter und aller Söhne über Generationen hinweg vereint.“

Über keine andere Sportart wurde soviel philosophiert, geschrieben und gesungen wie über Baseball, von Hemingway´s „Der alte Mann und das Meer“ bis hin zu Bruce Springsteen´s „Glory Days.“

Fast jeder Amerikaner hat seine ganz persönliche, meist sehr emotionale Beziehung zu diesem Spiel und für fast jeden verkörpert es seine eigene Jugendzeit, als er noch selbst einer der „Boys of Summer“ war, wie Baseballspieler bezeichnet werden. Baseball in den Vereinigten Staaten und Cricket in England scheinen denselben Ursprung zu haben und beide haben wohl auch gemeinsam, dass sie der Mentalität ihres jeweiligen Volkes am besten entsprechen. Trotz der ebenfalls großen Zuschauerzahlen und dem Aufschwung anderer Sportarten in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, wie etwa Basketball oder Football, gelang es diesen nie, der ältesten amerikanischen Sportart den Rang abzulaufen und ganz sicher wurde niemals ein anderer Sport als „national pasttime“ bezeichnet. Diese Ehre bleibt Baseball reserviert!

Das Vergnügen am Baseball kommt zum großen Teil aus dem Verstehen der Taktik und dem Wissen um Stärken und Schwächen einzelner Spieler. Man betrachtet ein Baseballspiel nicht wegen des Augenblickes allein, sondern wegen des Augenblicks in Beziehung zu vorangegangenen Augenblicken und mit dem Wissen über gute und schlechte Seiten der einzelnen Spieler in Form von Trefferquoten, Fangquoten und zahllosen anderen Statistiken im Hinterkopf. Man sieht daran, Baseballfans sind anders als die Fans jeder anderen Sportart, sie sind fanatisch, haben aber auch enormes Hintergrundwissen. In Baseballstadien sind Gewalt und Ausschreitungen unbekannt – bekanntlich anders als bei manchen anderen Massensportarten. Baseball ist nicht teuer und die meisten Fans können es sich leisten, ihr Team recht oft zu sehen – und recht oft heißt im Baseball wirklich recht oft! Da eine Major-League Mannschaft über 160 Spiele pro Saison bestreiten muss, kann es schon vorkommen, dass in einer Woche vier oder fünf Heimspiele stattfinden. Echte Fans besitzen allerdings ohnehin ein „Season-Ticket“!

Man findet auch immer sehr viele Kinder und Frauen unter den Zuschauern, ein für Europäer ungewohntes Bild und ein weiterer Beweis für die Friedlichkeit (aber keineswegs Stimmungslosigkeit) in amerikanischen Baseballstadien, in denen es natürlich ausschließlich Sitzplätze gibt. Baseballfans gehen also ins Stadion, um sich das Spiel anzusehen, weshalb man auch kaum die sonst in den USA so üblichen Showeinlagen, wie hüpfende Cheerleader oder riesige Maskottchen findet, ohne die kein amerikanisches Basketball- oder Football-Team auskommt. Die meisten Fans fänden dies für Baseball wohl eher „unwürdig“ – denn Baseball ist eine „ernste Sache“. Das weiß man spätestens seit 1945, als Jackie Robinson, der erste schwarze Profi-Baseballspieler und die Frage, ob man Schwarze erlauben dürfe, die Nation fast so spaltete wie der Vietnam-Krieg einige Jahre später. Wehe dem, der leichtfertig versucht, amerikanische Tradition zu ändern, und Baseball ist die amerikanische Tradition schlechthin.

Ein Amerikaner hat Baseball einfach im Blut und es wird wohl auch nie einer auf die Idee kommen, jemandem die Regeln erklären zu wollen – man geht davon aus, dass jeder das Spiel versteht oder andernfalls von irgendeinem seltsamen Planeten kommt und es kaum der Mühe wert ist, sich mit diesem Fremdling zu unterhalten. Doch keine Sorge: sind Grundregeln und Spielidee erst einmal verstanden, dann ist Baseball nicht mehr undurchschaubar und alles Restliche lernt man schnell durch Zusehen bei ein oder zwei Spielen. Eines sollte man sich allerdings immer vor Augen halten: als Zuschauer muss man dem Pitcher mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit schenken wie dem Batter (Schlagmann).

Natürlich sind die aufregendsten Szenen meist diejenigen, in denen der Ball weit geschlagen wurde und „Runs“ gelaufen werden. Nun ist es aber die Aufgabe der „Defense“ und hierbei vor allem des Pitchers, dies möglichst zu verhindern, wobei oft phantastische Leistungen zu sehen sind, was für den, der weiß, worauf er achten muss, meist genau so spannend ist, wie ein „Base Hit“ oder „Home Run“.

Erlebt man also eine Begegnung mit wenigen Hits, so betrachtet man meist gerade eine großartige Pitcher-Leistung und genau das ist es, was unerfahrene Zuschauer nicht zu schätzen wissen, da sie die Strategie des Pitchers und die Unterschiede in seinen Würfen noch nicht erkennen können. Vergisst man aber den Pitcher und konzentriert sich nur auf Hits, so entgeht einem über die Hälfte des Spiels und es wird tatsächlich „langweilig“.

Versteht man dagegen, dass der Pitcher die Schlüsselfigur ist, die das Spiel in der Hand hält und dass sich die Spielsituation während der etwa 3 1/2 Stunden mit jedem „Pitch“ verändert, dann bekommt es plötzlich eine ganz andere Dimension und man kann die Absichten und Taktiken der einzelnen Spieler nachvollziehen und versuchen vorauszusagen, ähnlich wie man eine Schachpartie verfolgt.

Je mehr der Fan somit über die Teams und ihre bevorzugten Taktiken und Strategien weiß, je besser er die Stärken und Schwächen einzelner Spieler gegen andere Spieler kennt und je mehr er darüber weiß, welche Pitcher gegen welche Batter erfolgreich sind und umgekehrt, desto mehr genießt er das Spiel.

Obwohl die taktischen Seiten des Spieles für den Neuling nicht gleich offensichtlich sind und man den unvermeidlichen Fachjargon, mit seinen unzähligen rätselhaften Ausdrücken wie „Double Play“, „Fielder´s Choice“, „Duster“ oder „Rainbow Curve“ noch nicht versteht, bemerkt doch jeder, der sich in ein Baseballstadion begibt, sofort den besonderen Flair dieses Spieles und die unverwechselbare Mentalität seiner Fans.

Nicht ohne Grund wurde Baseball durch das sich immer wiederholende Duell zwischen Pitcher und Batter zum beliebtesten Sport Japans und der Vereinigten Staaten von Amerika, nach dem sich – so behaupten zumindest die Fans – das Leben der ganzen Nation richtet.

„Frühling ist, wenn Du im Park zum ersten Mal wieder das Geräusch eines Balles hörst, der vom Holzschläger getroffen wird“.

Thomas Wolfe
Aus: „Amerikas Nationalsport: Baseball“, mit freundlicher Genehmigung von Herrn Schmeissner

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